Joe Jackson: What A Racket!

Joe Jackson What A Racket! Cover earMUSIC

Schon fast vergessen war die britische Epoche des Music-Hall-Entertainments. Jetzt gelingt dem großen englischen Musiker Joe Jackson eine fulminante Wiederbelebung.

von Werner Herpell

Mindestens ein Hauch von Geheimnis umweht das neue Album des großartigen englischen Sängers, Songwriters, Pianisten und Komponisten Joe Jackson. Das geht schon beim Plattentitel los, der genau genommen recht altertümlich „Mr. Joe Jackson presents: Max Champion in ‚What A Racket!’” lautet. Und es setzt sich fort bei den Musikern seines elfköpfigen Orchesters, deren Namen – von Mr. Albert Bonehill an der Violine, über Mr. Jack Chevalier an „drums, cymbals, pots, pans and Maltese gong“, bis zu Prof. B. Waldorf am Pianoforte – etwas sehr britisch Nostalgisches und Künstliches anhaftet.

Eine musikarchäologische Großtat

Joe Jackson What A Racket! Cover earMUSIC

Und ist der Mann hinter

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„the baritone voice, the songs and the musical arrangements“ wirklich der ominöse Künstler Max Champion aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert …? Oder wohl doch eher Joe Jackson selbst, der für elf Lieder der legendären Music-Hall-Ära ganz wunderbar authentisch in die Champion-Rolle geschlüpft ist? Wenn man zu der letztgenannten These tendiert (für die natürlich sehr viel spricht, auch wenn der variable Gesang nicht in jedem einzelnen Track typisch nach Jackson klingt), dann hat man es hier nicht nur mit einem tollen Song-Album zu tun, sondern sogar mit einer musikarchäologischen Großtat des 69-jährigen, der seit den 1970ern vom Punk bis zur Neo-Klassik alle möglichen Stile und Genres kompetent ausprobiert hat.

Wie gut dieser Künstler opulente, jazzige Arrangements beherrscht, hatte er ja bereits vor vier Dekaden mit „Jumpin‘ Jive“ (1981), „Night And Day“ (1982) und „Body And Soul“ (1984) bewiesen. Ein Orchester spielt nun also auch auf „What A Racket!“ wieder eine Hauptrolle, nur dass Jackson diesmal mit großer Verve Songs aus einer lange zurückliegenden Epoche in die Gegenwart holt. Wie wichtig diese erste Ära der Massenunterhaltung in Music Halls, die im 19. Jahrhundert von der Arbeiterklasse geschaffen wurde, bis heute für die britische Pop-Kultur ist, zeigt sich an Bands/Sängern wie The Kinks, Madness, Jona Lewie, Stephen Coates (The Real Tuesday Weld)  oder Blur (siehe „Parklife“). Und natürlich an Joe Jackson selbst, der gern Music-Hall-Stimmungen in seine Songs integrierte.

Max Champion – eine reale Figur

Die Lieder über den Alltag im viktorianischen Zeitalter waren mal humorvoll oder satirisch, mal sentimental oder patriotisch, einige befassten sich mit Themen wie Sexualität, Eifersucht und Mord. Also lebenspraller Stoff, der bis heute reizvoll ist. Und damit zurück zu Max Champion – der ist nämlich keineswegs nur eine Kunstfigur aus der Feder von Joe Jackson, sondern war ganz real einer der späteren Music-Hall-Darsteller. „Über ihn ist nur wenig bekannt, außer dass er 1882 im Londoner East End geboren wurde und vermutlich mit dem großen viktorianischen Unterhaltungskünstler Harry Champion verwandt war“, heißt es in der Label-PR. Max Champions Karriere wurde (ähnlich wie die Music-Hall-Ära selbst) durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen, in dem der Musiker vermutlich auf einem belgischen Schlachtfeld starb.

Ziemlich genau 100 Jahre später tauchten die in Vergessenheit geratenen Lieder indes auf Max-Champion-Notenblättern wieder auf. Bis 2019 waren genug Stücke beisammen, so dass Joe Jackson sie mit einem Orchester „wiederbeleben“ konnte. „Das waren zu ihrer Zeit wunderbare Songs, aber sie sind auch erstaunlich modern“, sagt er über die Entdeckung der stets grandiosen, temperamentvollen oder melancholischen Music-Hall-Tracks wie „The Sporting Life“, „Dear Old Mum“, „What A Racket!“, „Health And Safety“ und „Worse Things Happen At Sea“. 

Joe Jackson verneigt sich vor einer Pop-Ära

Und der Engländer fügt begeistert hinzu: „Manchmal ist es fast so, als würde Max aus seinem London des frühen 20. Jahrhunderts direkt zu uns im frühen 21. sprechen.“ Man kann Joe Jackson nur Respekt zollen und dafür danken, dass er durch seine Verneigung vor Max Champions Liedern ein wichtiges frühes Kapitel der britischen Pop-Geschichte mit viel Euphorie und Expertise vor dem Untergang bewahrt hat. Dass nun offenbar auch Pläne in Arbeit sind, das Tribute-Projekt im Frühjahr 2024 als Live-Show zu präsentieren, macht das Fan-Glück perfekt.

Das Album „Mr. Joe Jackson presents: Max Champion in ‚What A Racket!’” von Joe Jackson erscheint am 24.11.2023 bei earMUSIC. (Beitragsbild: Albumcover)

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